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Beitrag vom 28.09.2005
Stage Beauty
Karin Effing
Der Frauendarsteller Kynaston verliert seinen Job, als die "echten" Frauen die Bretter stürmen, die seine Welt bedeuten und fällt in eine schwere Identitätskrise. Großartiges Thema. Laue Verfilmung.
Maria ist die Garderobiere des berühmtesten Schauspielers seiner Zeit, Edward Ned Kynaston, der vor allem durch seine Verkörperung der Desdemona in Shakespeares "Othello" zu Starruhm gelangte. Wir schreiben die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts: auf englischen Bühnen sind ausschließlich Männer erlaubt.
Aber Maria ist nicht nur Neds Garderobiere, sie ist auch heimlich in ihn verliebt.
Und vor allem würde sie gerne selbst auf der Bühne stehen.
Da Frauen per königlichem Erlass das Spielen verboten ist, borgt sie sich die verschwenderischen Kleider von Kynaston und tritt heimlich in einer zwielichtigen Schenke auf - mit großem Erfolg. King Charles II ist derweil der klassischen Theaterinszenierungen müde, zumal niemand auf seinen Vorschlag eingeht, "Othello" mit ein paar Späßen aufzulockern. Mit ein bisschen Nachhilfe seiner kecken, theaterbegeisterten Mätresse Nelly Gwyn entscheidet er, dass ab sofort nur noch "echte" Frauen Frauen, sowie "echte" Männner Männer auf der Bühne verkörpern sollten.
So muss Ned Kynaston buchstäblich über Nacht die Bühne verlassen und Maria wird der neue Star am Theaterhimmel. Von seinem Metier, der Darstellung von Frauenfiguren auf der Bühne ausgeschlossen, scheint Ned den Boden unter seinen Füßen zu verlieren.
Er weiß nicht mehr, wer er ist.
Zu allem Überfluss verlässt ihn auch noch sein Geliebter, denn als Mann könne er ihn nicht lieben. Er begehrte ihn nur auf der Bühne, wenn Ned Kynaston die Perücke einer Frau trug.
Wer ist der ehemalige Frauendarsteller also nun? Er kann keine Männerrollen spielen, sagt Kynaston. Aber er wäre doch immer in Hosenrollen am besten gewesen, als Frau, die sich als Mann verkleidet habe. Das sei etwas anderes, erwidert er, dann sei er ein Mann, der eine Frau spiele, die spiele, dass sie sich als Mann verkleidet habe. Durch diesen Spiegel könne er einen Mann spielen. Aber doch nicht als Mann einen Mann, da sei doch keine Kunst dabei.
Das sind die großartigen Momente des Films, wenn Verwirrung die KinobesucherInnen befällt und sie sich denken, das ist mir jetzt zu kompliziert und auch unsinnig.
In einem Dialog zwischen ihm und Maria, sagt er. Ich habe nichts anderes gelernt, ich habe geübt und geübt bis ich mich wie eine Frau bewegen konnte. Und man möchte rufen: aber sie doch auch! Schon mal davon gehört, dass alle Menschen ihr Geschlecht gelernt haben und täglich weiter daran arbeiten?
Das Thema ist vielversprechend: nur Männer spielen auf den britischen Bühnen der damaligen Zeit. Mit dem Drängen der Frauen auf die Bühne wird das Thema Geschlecht verhandelt. Wer spielt wen und weshalb? Was sind die Argumente für Männer auf der Bühne? Und welche gibt es für Frauen auf der Bühne? - Und warum eigentlich spielen Frauen die weiblichen Figuren und nicht auch noch die männlichen? Männer haben ja auch die Männer- und die Frauenrollen gespielt.
Was ist echt? Was ist gespielt?
Immer wieder wird die/der ZuschauerIn an Punkte gebracht, die genial gewesen wären, hätte der Film auch noch den nächsten Schritt gewagt, hinein in den fröhlichen Abgrund des Gendertroubles. Stattdessen findet er immer wieder zielstrebig zum "echten" Geschlecht, zu unhinterfragbarer Heterosexualität zurück.
Das trifft auch auf folgende Szene zu:
Als Maria und der abgedankte Frauendarsteller sich näher kommen, sagt sie, dass sie noch nie mit einem Mann geschlafen habe. Worauf er antwortet, dass er noch nie mit einer Frau geschlafen habe. Wie es denn Männer miteinander machen, will sie wissen. Und er sagt, dass es beim Sex einen Mann und eine Frau gäbe. Er sei dabei die Frau. Spielerisch inszenieren sie verschiedene Posen und Positionen und sie fragt lachend: Was bist du jetzt? Bist du der Mann oder die Frau? Das ist komisch und außerdem auch liebevoll gefilmt. Schreckt aber davor zurück, wirklich das Denken in Zweigeschlechtlichkeit zu überschreiten. Die auf der Zunge liegende Frage, ob sie denn nicht beide eigentlich zwei Frauen sind - er als Frauendarstellerin und sie als "richtige" Frau (als die sie im Film inszeniert wird) – wird nicht gestellt.
Und das ist schade und absolut vergebenes Potential. Gerade diese Dialoge sind manchmal einmalig gut, auch wenn die Pointe allzu oft zu Nichte gemacht wird.
Das Ende des Filmes leistet hier gründliche Arbeit.
Was hätte man aus dem Thema machen können!
AVIVA-Tipp: Großartiges Thema, das hoffentlich irgendwann angemessen verfilmt wird. Der Film regt trotzdem zum Nachdenken über Geschlecht und seine "Echtheit" und "Natürlichkeit" an, geht aber leider nie bis zum heiteren und befreienden Ende des Gedankenganges, der lauten würde: macht doch was ihr wollt und kümmert euch nicht um dieses merkwürdige und hoffentlich bald überholte Konstrukt "Geschlecht".
Stage Beauty
Regie: Richard Eyre
Drehbuch: Jeffery Hatcher
Produzent: Robert De Niro
DarstellerInnen: Billy Crudup, Claire Danes, Rupert Everett, Ben Chaplin
England, Deutschland, USA 2004, 110 Minuten
Verleih: Senator Film Verleih
Kinostart: 29. September 2005